Geht es Ihnen auch manchmal so? Für mich reicht manchmal eine Schlagzeile, schon rolle ich innerlich mit den Augen. Noch ein Artikel zum Thema X! Ob das Thema nun künstliche Intelligenz oder (:zwinker:) Blockchain heisst, ist dabei unerheblich. Aber diese Trends zu ignorieren, ist auch keine gute Idee. IT-gestützte Innovation (dazu habe ich vor einiger Zeit einen LinkedIn-Artikel erstellt) bedeutet nicht, dass man mit jedem Trend mitgehen muss. Allerdings sollte man eine gute Begründung haben, spätestens wenn in einem Führungsgremium oder im Dialog mit anderen Führungskräften die Frage fällt: Warum, denn nicht? In diesem Beitrag gehe ich auf drei Perspektiven ein, jeder davon mit einem anderen Tipp.
Die erste Perspektive – Allerweltsweisheiten
Ein Softwareunternehmen schreibt auf Ihrem Blog folgendes:
Das Beste am Nachverfolgen von Branchentrends ist, dass es eine Fülle von Schulungen und Informationen zu so gut wie allem gibt.Wenn Sie also noch nicht sehr technikaffin sind, finden Sie hier einige Möglichkeiten, Ihr Wissen zu erweitern:
- Nehmen Sie sich jede Woche Zeit, um etwas Neues zu lernen
- Bleiben Sie über technologische Marktführer hinsichtlich Branchentrends auf dem Laufenden
- Besuchen Sie Konferenzen und Networkingveranstaltungen
https://asana.com/de/resources/qualities-of-a-leader
- Suchen Sie sich einen Mentor, der Ihnen etwas beibringen kann
Es sind sehr allgemeine Tipps, deren Essenz lautet: ignorieren Sie Trendthemen nicht. Informiert bleiben bedeutet auch, dass eins oder mehrere dieser Themen strategische Vorteile für ihr Unternehmen bringen können. Mit dem zweiten Tipp bin ich jedoch nicht ganz einverstanden. Der Zusatz “über technologische Marktführer” sollte vorsichtig überlegt werden, denn die Marktführerschaft kann sich ohne Vorwarnung ändern, gerade im technischen Bereich. Aktuelle Marktführer versuchen nach meiner Erfahrung immer, die Diskursführerschaft über Trendthemen schnell zu übernehmen und sind dank hohen Marketingbudgets schnell in den Schlagzeilen. Kurz gesagt, sie sind überall. Mein Tipp: schauen Sie selbst proaktiv nach unabhängigen Meinungen um. Häufig haben einige Experten Blogs, Newsletter oder Podcasts, die neuen Themen auf den Grund gehen. Ein Podcast das mir bisher gut gefallen hat: der Führungs-Podcast von Dierke und Houben (Podcast – DierkeHouben).
Die zweite Perspektive – Was sagt die Forschung?
Die Erforschung und Erprobung der Trends für die Innovation wird als eigene Aktivität ausgelagert. Das geschieht typischerweise an einem Forschung und Entwicklungsteam in größeren Unternehmen, im Rahmen eines definierten Innovationsmanagement-Prozesses in kleineren Unternehmen, als Forschungskooperationen usw. Aus Sicht der Forschung in Innovationsmanagemen, ist ein Umdenken erkennbar: Es geht nicht mehr rein um Produktinnovation, sondern um Innovationssysteme, mit breiterem Denke (1). In dem Artikel wird ferner deutlich, dass die Globalisierung große Investitionswellen ins Ausland ermöglicht, gerade für Länder mit kleineren Binnenmärkte. Aber wir sehen heute: Dieser Trend war (leider) nicht von Dauer. Stattdessen wird wieder von “friendshoring”, Technologiesouveränität und digitale Souveränität gesprochen. Was jedoch klar wird: Neue Produkte – gerade digitale oder cyber-physische Produkte – werden immer komplexer. An dem Trend “Rapid advances in technology” (1) wird deutlich, dass die Anzahl an Technologien, die für die Herstellung eines Produktes (z.B. Mobiltelefon) notwendig sind, binnen weniger Jahren gewachsen ist. Auch ist es aufgrund der Komplexität nicht mehr möglich, dass einzelne Unternehmen diese Produkte alleine entwickeln, vermarkten und betreiben.
Eine weitere Studie aus 2016 (2) versucht in die Zukunft zu schauen und findet ebenfalls, dass das Tempo des Fortschritts zunimmt und unter dem Einfluss von Megatrends viel unvorhersehbarer wird. Mit Megatrends sind nicht größere Hypes gemeint, sondern sehr reale generelle Verschiebungen im Denken oder Ansätzen, die ganze Länder und Industrien beeinflussen.
Mehr Faktoren bedeutet, dass Unternehmen zunehmend mehr Zeit und Ressourcen in der Bewertung von Trends und Technologien investieren müssen, um innovationstechnisch am Ball zu bleiben. Die Frage „Wie können wir Technologie X in unserer Landschaft/in unseren Prozessen integrieren?” wird zunehmend in Kooperationen (co-creation) beantwortet, selten alleine. Es ist daher umso wichtiger, in die Fähigkeit zu investieren, gute externe Partner zu identifizieren. Dabei können Reputationssysteme in Lieferketten eine Rolle spielen.
Die dritte Perspektive – Gesunde Skepsis und Nachhaltigkeit
Wir beschäftigen uns generell – nicht nur im Unternehmen, sondern auch im Alltag – zu wenig mit den Konsequenzen unserer Entscheidungen. Dies ist uns nur teilweise direkt zuzuschreiben. Auch das Tempo ist so rasant geworden, dass wir in der Alltagsbeschleunigung keine Zeit haben, genau auf die Auswirkungen der Aktionen zu warten und daraus zu lernen. Meist wird das genommen, was kurzfristig zur Verfügung steht und ab zum nächsten Projekt. Nachhaltig ist dies nicht.
Schon 2018 fragte das World Economic Forum (WEF): “Is new technology hurting our productivity?” (Sinngemäß: Hindern uns neue Technologien daran, produktiver zu werden?). Sie stellen anhand einer Studie von Bain & Company fest, dass Führungskräfte heute mehr als 30.000 externe Kommunikationen (E-Mail, Voicemails, soziale Medien etc.) im Jahr bekommen. Auch wird laut WEF-Autoren die Tatsache oft unterschätzt, dass die Zeit und Aufwand, um immer neue Technologien zu erlernen, die Benefits reduzieren oder ganz wegnehmen.
Mein Tipp daraus: Nicht jeden Trend aus FOMO (der berühmt-berüchtigte Angst, etwas zu verpassen, wenn man nicht mitmacht) oder Enthusiasmus gleich einsetzen. Ein interner Innovationsprozess zu etablieren ist schon deshalb nicht verkehrt, weil es einen zwingt, die Trends systematischer und daher rationaler anzugehen. Nicht jedes Wetter-Widget muss gleich KI-Funktionen besitzen. Und wenn Technologien eingesetzt werden, dann nachhaltig! Ich meine hier nicht unbedingt CO2-neutral oder so, sondern auch zum Beispiel, dass Software so geschrieben und weiterentwickelt wird, dass sie auch über einen längeren Zeitraum ohne Ersatz den Mehrwert liefern kann. Hier empfehle ich wie immer das Karlskrona Manifesto (sustainabilitydesign) als weiterführende Lektüre.
TL;DR
Zusammengefasst kann man die Perspektiven so darstellen:
- Allerweltsweisheiten in Punkto Trendthemen sind nicht unbedingt verkehrt. Achten Sie jedoch auf die Informationsquellen und nutzen Sie in Zweifel mehrere.
- Die Forschung sagt: Innovation wird durch Technologie und weitere Trends nicht unbedingt leichter, sondern eher komplexer. Daher soll man hier in die Fähigkeit investieren, gute Partner zu finden und an sich zu binden.
- Die Praxis zeigt: Technologieadoption kann auch negative Aspekte haben und könnte das Unternehmen überfordern. Nutzen Sie Innovationsprozesse (klein anfangen ist besser als nicht anfangen), um die Technologien systematisch und rational auszusuchen. Nach Auswahl unbedingt auf Nachhaltigkeit (hier ist mehr als nur ökologische Nachhaltigkeit gemeint) achten.
Quellen für diesen Beitrag
- Ortt, J.R. and Smits, R. (2006) ‘Innovation management: different approaches to cope with the same trends’, Int. J. Technology Management, Vol. 34, Nos. 3/4, pp.296–318.
- Jones, J. N., Cope, J., & Kintz, A. (2016). Peering into the Future of Innovation Management: As the world changes, innovation professionals consider what the future holds for innovation and innovation management. Research-Technology Management, 59(4), 49-58.
